Solidarität hat Hochkonjunktur. Fast täglich werden wir aufgerufen uns solidarisch zu zeigen. Forderungen kommen aus Politik, Zivilgesellschaft, von Kirchen oder prominenten Künstlern. Krisen- und Solidaritätsrhetorik sind inflationär geworden. Man kommt fast nicht mehr mit, auch emotional. Abstumpfung droht.
Selber einen echten Beitrag zu leisten, ist auch deutlich schwieriger als Solidarität von anderen einzufordern. Das große, gute Ideal der Solidarität ist nicht nur zu einem ausgelatschten und überstrapaziertem Begriff geworden, sondern wurde auch allzu oft politisch missbraucht. „Solidarität“ mit anderen autoritären Regimen war Staatsdoktrin der SED-Führung. Gemeint waren Waffenlieferungen oder Entwicklungshilfe. Sie hatten wirtschaftliche, militärische oder politische Interessen. Auch die Bürger wurden verpflichtet. Nur, wer verpflichtet und gezwungen wird, verliert bald jeden Gemeinsinn. Zurück blieb ein verbrannter Begriff, der für ein paar Jahrzehnte in Quarantäne musste. Und heute? Linke sprechen von Globaler Solidarität, Rechte meinen eine völkische – gnadenlos überdehnt oder bis zur Unkenntlichkeit verengt.
Der Solidaritätsbeitrag, der von anderen eingefordert wird, führt das Konzept des freiwilligen Einstehens für andere aus dem Gefühl bürgerlicher Verantwortung oder Nächstenliebe ad absurdum. Solidarität entspringt einem Gefühl der Verbundenheit und bedeutet aus freien Stücken anderen beizustehen, ihre Ideen und Ziele zu unterstützen. Dabei mobilisieren uns oft Notlagen und offenkundige Missstände. Solidarität braucht den emotionalen Impuls, bezieht sich auf bestimmte Gruppen oder Individuen. Sie wirkt ansteckend, wie Wellen solidarischen Handelns in der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 oder im Frühjahr 2020, dem Beginn der Corona-Pandemie bei uns gezeigt haben. Wellen aber ebben ab. Gemeinschaftliches Engagement und insbesondere Solidarität sind fragil. Oft verlieren wir schnell wieder den Faden. Außerdem braucht Solidarität Vertrauen, dass unser Einsatz nicht in eine Enttäuschung mündet. Daher funktioniert Solidarität für die Gruppe, die als die eigene angesehen wird, immer noch am besten. Das Wir für uns aber verstellt den Blick für vergleichbare Problemlagen anderer und die Hebel größerer gesellschaftlicher Allianzen.
Schöner, weil stabiler und wirkmächtiger als solidarische Gesten / Impulse / Wellen oder Solidarität für unsereins ist die Politische Freundschaft*. Wir verbünden uns mit Anderen und zwar auf Dauer und nicht nur bei Anlässen, weil wir das gemeinsame größere Interesse sehen (können).
* Max Czollek