Bowling Alone

…ist der Titel einer Studie des Harvard-Professors Robert D. Putnam, ein Klassiker in den Sozialwissenschaften. Er hatte beobachtet, dass Menschen zwar nach wie vor gern bowlen, aber immer weniger in Vereinen. Sinnbild der Entwicklung sind die Fitness Studios, die in den 90er Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen. Aber es geht auch mit noch weniger sozialer Interaktion. Yoga via Zoom funktioniert prima. Viele machen das Gleiche, aber jeder für sich.

„Was wir tun, wenn wir tätig sind“, interessierte Hannah Arendt hat schon in den Sechzigerjahren. Ihre Beobachtungen und Analysen klingen erstaunlich aktuell. Arbeit und Konsum, das sind die beiden Pole zwischen denen sich Leben abspielt. Mehr Freizeit heißt mehrheitlich schlicht mehr Konsum. Auch mehr Lebensglück? Menschen werden „weltlos“, sagt Hannah Arendt. Das klingt nach Lost in Space und meint es im Grunde auch. Es mangelt an Perspektive, denn es gibt nur eine und zwar die eigene. Auf sich selbst zurückgeworfen, ist man ist mit sich beschäftigt und interessiert sich kaum für Welt außerhalb des eigenen Kosmos. Gefühlt geht einen nichts wirklich an. Theoretisch könnte man viel, aber will nichts. Keine Phantasie für die Zukunft. Frei, aber eben auch disconnected. Immer beschäftigt, aber passieren tut nicht viel. Stillstand führt zu einem penetranten Gefühl der Leere.

Übertrieben? Nun, Welt ist nicht schwarz-weiß. Das Gefühl aber, dass dem Leben Sinn und Richtung fehlt, kennen einige. Sehnsucht nach guten, tragfähigen Verbindungen haben viele. Jobs geben Struktur, füllen Tage, bestimmen sozialen Kontext. Zu Beginn der Corona-Krise war plötzlich viel weg, für manche fast alles. Gemeinschaften mit solider Basis und von guter Substanz fanden schnell auch digital zusammen. Sie bleiben auch unter widrigen Umständen vital. Geteilt-gelebte Leidenschaften, Interessen und gemeinsames Tun schaffen Tiefe, ein Nebeneinander-her-konsumieren nicht. Konsumenten halten auch keine Demokratie am Leben. Es braucht Bürger, Menschen, die sich für etwas entscheiden, die machen, sich verantwortlich fühlen. Keine Organisation oder Gruppe passt perfekt, aber ohne geht es nicht. Nachbarschaftsinitiativen, Musikbands, demokratische NGOs und Parteien, Theatergruppen – sie bilden das Grundgewebe unserer Gesellschaft. Im Übrigen sind die Zumutungen, die wir in dem miteinander Tun erleben elementar und Teil der Übung 😉

Photo by the Cameraslinger on Unsplash

Wer im Glaskäfig sitzt…

… sitzt da selten freiwillig. Sprache, so sagt Kübra Gümüşay, kann man auch als einen Ort oder sehr großes Museum denken. Kuragiert haben dieses Museum die Menschen, die Standard sind, die Norm markieren. Es zeigt die Welt aus ihrer Perspektive. Wer jenseits der gesellschaftlichen Normalnull verortet, als anders, fremd oder einfach ungewohnt angesehen wird, landet in einer der Vitrinen des Museums, wird kategorisiert, mit Kollektivnamen versehen. Dort verschwindet der Einzelne, das Individuum, der Mensch. Er wird zum Vertreter „seiner“ Gruppe, auch wenn seine persönliche Selbstverortung möglicherweise anders ausfällt. Schnell sieht man in ihm einen Experten. Er hat Auskunft zu geben, muss erklären und dabei nicht das eigene Tun rechtfertigen, sondern auch das anderer Gruppenmitglieder.

Einen Exit aus diesem Frage-Antwort-Spiel gibt es nur für diejenigen, die die Chance haben sich mit „ihrer“ Kategorie unsichtbar zu machen. Wer als Teil des Mainstream angesehen wird, lebt freier, redet über selbstgewählte Themen. Muslimische Frauen, die ihren Kopf bedecken, fühlen vermutlich oft die Hitze des Scheinwerfers auf sich gerichtet. Die Fragen sind immer ähnlich. Im Mittelpunkt steht natürlich die Religion, aber oft geht es auch um Missstände (und nicht etwa Kunstszene oder Oppositionsbewegung) islamischer Ländern. Da hilft es auch nichts, in Bonn aufgewachsen zu sein. Wer Katholik oder Protestant ist, kann sich jetzt mal überlegen, wie oft er schon in die Verlegenheit kam, das Pfingstfest zu erklären. Selten? Genau. Juden werden gern zu israelischer Regierungspolitik oder dem Nahost-Konflikt befragt, auch wenn sie vielleicht nur hin und wieder in Tel Aviv Urlaub machen. Wer zufällig im Osten Deutschlands geboren wurde, ist natürlich prädestiniert den Osten, inklusive „Chemnitz“ und AfD, zu erklären. Dabei spielt es keine Rolle, wenn man seit zwei Jahrzehnten ganz woanders lebt. Natürlich meint es (fast) niemand böse. Aber es zeigt, entlang welch festem Raster unser Denken läuft, insbesondere wenn Fragen unter den Nägeln brennen.

Gesellschaftliche Kategorien und Gruppenbezeichnungen sind praktisch. Ohne Begriffscontainer geht es nicht. Im Alltag sind sie grobe Navigationshilfe, aber damit hat es sich auch schon. Menschen lassen sich eben nicht wie chemische Elemente in ein übersichtliches Raster packen. In jedem von uns steckt Vielfalt, Komplexität, manchmal Widersprüchliches. Wir alle wollen in erster Linie als Mensch und Individuum wahrgenommen werden. In Glaskäfige gedacht und gesprochen zu werden nervt.

Kübra Gümüşay (2020): Sprache und Sein

Photo by Gonzalo Arnaiz on Unsplash