Am 19.4.2018 feiert Israel seinen Unabhängigkeitstag und 70-jähriges Jubiläum. Zehn Jahre ist es her, dass Angela Merkel anlässlich des 60. Jahrestages vor der Knesset, dem israelischen Parlament, in Jerusalem sprach. Die Rede gilt als wichtiger Meilenstein in der Beziehung beider Länder. Angela Merkel sprach von der historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels, von Solidarität als Teil deutscher Staatsräson und gemeinsamen Werten. Klare Worte – alles gut?
Die Antwort ist ein klares Nein. Zwischen dem Imperativ der Solidarität und individuellen Einstellungen klaffen zum Teil große Unterschiede. Wer mit einem Israelfähnchen durch die Stadt läuft, gilt als mutig und rechnet selbst auch mit Anfeindungen. Viele Juden kritisieren das einseitige Bild von Israel in den deutschen Medien. Der Mehrheit fällt es selten auf. Ein als „Israelkritik“ getarnter Antisemitismus spricht dem Land seine Existenzberechtigung ab. Juden müssen sich regelmäßig für die Politik „ihres“ Landes rechtfertigen. Tiefsitzende Vorstellungen von „Wir“ und „Anderen“ werden deutlich. Judentum und Israel werden gedanklich oftmals gleichgesetzt. Dabei haben viele auch nicht im Blick, dass 20 Prozent der israelischen Staatsbürger Araber sind. Die jüdische Mehrheit ist in enorm plural, denn die Menschen sind aus allen Kontinenten eingewandert und haben ihre Traditionen mitgebracht. Vielfältig ist natürlich auch, wie die Menschen Judentum leben. Die Bandbreite ist sehr groß und reicht von säkular bis ultraorthodox. Israel versteht sich als jüdischer Staat und ist gleichzeitig demokratisch. Was das jüdische im Staat ausmacht, ist nach wie vor Gegenstand kontroverser Debatten und was das schließlich für Minderheiten bedeutet, ist der Lackmustest für die Demokratie.
Als „Erfinder“ des Staates Israel gilt Theodor Herzl. Er veröffentlichte im Jahr 1896 das Manifest „Der Judenstaat – Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“. Es entstand vor dem Hintergrund eines zunehmenden Antisemitismus in Europa. In Frankreich wurde Dreyfus – jüdischer Offizier – unschuldig als angeblicher Spion verurteilt und im Zuge des Prozesses waren Juden kollektiv angefeindet worden. Selbst Assimilation versprach kein Leben in Frieden und gleiche Bürgerrechte. Allein ein eigener Staat schien die Lösung und logische Konsequenz zu sein. Für die meisten westeuropäischen Juden war Herzls Idee zunächst wenig attraktiv – waren sie doch da zu Hause, wo sie lebten. Nach dem Holocaust änderte sich die Lage grundlegend und der Zionismus zur wichtigsten Idee für die Mehrheit der Juden. 1948 wurde schließlich Israel gegründet – vor allem um Juden eine Zuflucht zu geben. Ein Zufluchtsort ist das Land auch heute noch für viele, weil der Holocaust nach wie vor präsent und Antisemitismus mit dem Ende des Nationalsozialismus keineswegs aus der Gesellschaft verschwunden ist. Persönliche Gespräche machen deutlich – fast jeder Jude in Deutschland hat bereits Anfeindungen erlebt. Synagogen und jüdische Einrichtungen gehören zu den bestgeschütztesten Gebäuden.
Zurück zum Ausgangspunkt und lassen wir die große Politik außen vor. Lesen wir mal wieder oder zum ersten Mal „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ von Amos Oz, scheitern wir zufrieden und deutlich klüger bei dem Versuch uns „ein“ Bild über das Land zu machen, indem wir Natan Sznaiders Buch „Gesellschaften in Israel. Eine Einführung in zehn Bildern“ lesen, gehen wir schließlich zum Israeltag, der im April oder Mai in vielen Städten gefeiert wird und kommen wir dort mit anderen ins Gespräch. Bleiben wir gedanklich für einen Moment auf dieser Ebene und schauen uns an, wie Sznaider sein Buch über Israel beginnt: „Viele Menschen wollen ein kleines, nichtheroisches und ideologiefreies Leben führen, ihre Kinder in die Schule schicken, Urlaub machen, einen neuen Fernseher kaufen, einen Kaffee trinken gehen und den nächsten Tag überleben“. Wer will das nicht?