Der Satz hakt sich fest im Kopf. Wäre das heute anders oder sind im Grunde nur die Gardinen aus den Fenstern verschwunden? Theoretisch haben wir aus der Geschichte gelernt. Theoretisch.
Wenn etwas passiert, passiert entweder gar nichts oder es hagelt moralische Appelle. Manchmal gibt es Solidaritätsbekundungen. Sie sind wichtig und haben ihre Funktion, aber kosten den einzelnen fast nichts. Die unangenehme Frage bleibt: Wie hätte ich reagiert? Weggeguckt, rausgehalten? Sich am Rande zu halten, ist ein starker Impuls. Geht mich nichts an. Ausrichten kann ich nichts. Tatsächlich nichts?
Über eigene Werte redet es sich viel leichter, als sie handelnd zu leben. Verantwortung auch für andere zu übernehmen, ist schwieriger als sie, an wen auch immer, zurück zu delegieren. Wer sich heraushält, geht kein Risiko ein. Überzeugungen hin oder her.
Zivilcourage bedeutet einzuschreiten, wenn zentrale Werte und Normen offen verletzt werden, auch wenn uns Nachteile drohen. Bürgermut eben. Das klingt gut. Man müsse mal „ein deutliches Zeichen setzen“ und etwas tun, sagen viele. Aber wenn es darauf ankommt, sehen sie das naheliegende nicht. Über gesellschaftliche Missstände wird dafür weiter viel geredet. Analysen von der Seitenlinie. Oft verharren Diskussionen im man. Da fehlt zum Bürgermut nicht nur der Mut, sondern auch der Bürger.
Wenn mehr Leute ich, statt man sagen, ist das schon mal ein Anfang. Und wenn mehr Leute aufmerksamer ihr Umfeld scannen, hinhören und hinsehen, ist das der nächste Schritt. Wer also zukünftig nicht mehr mit lacht, wenn der Chef sexistische Witze reißt, hat immerhin das Thema verstanden und den Anfang geschafft. Nur Mut – Zivilcourage kann man lernen und einüben.
*Rahel Renate Mann, Der Spiegel Geschichte, Jüdisches Leben in Deutschland, 4/2019