… sitzt da selten freiwillig. Sprache, so sagt Kübra Gümüşay, kann man auch als einen Ort oder sehr großes Museum denken. Kuragiert haben dieses Museum die Menschen, die Standard sind, die Norm markieren. Es zeigt die Welt aus ihrer Perspektive. Wer jenseits der gesellschaftlichen Normalnull verortet, als anders, fremd oder einfach ungewohnt angesehen wird, landet in einer der Vitrinen des Museums, wird kategorisiert, mit Kollektivnamen versehen. Dort verschwindet der Einzelne, das Individuum, der Mensch. Er wird zum Vertreter „seiner“ Gruppe, auch wenn seine persönliche Selbstverortung möglicherweise anders ausfällt. Schnell sieht man in ihm einen Experten. Er hat Auskunft zu geben, muss erklären und dabei nicht das eigene Tun rechtfertigen, sondern auch das anderer Gruppenmitglieder.
Einen Exit aus diesem Frage-Antwort-Spiel gibt es nur für diejenigen, die die Chance haben sich mit „ihrer“ Kategorie unsichtbar zu machen. Wer als Teil des Mainstream angesehen wird, lebt freier, redet über selbstgewählte Themen. Muslimische Frauen, die ihren Kopf bedecken, fühlen vermutlich oft die Hitze des Scheinwerfers auf sich gerichtet. Die Fragen sind immer ähnlich. Im Mittelpunkt steht natürlich die Religion, aber oft geht es auch um Missstände (und nicht etwa Kunstszene oder Oppositionsbewegung) islamischer Ländern. Da hilft es auch nichts, in Bonn aufgewachsen zu sein. Wer Katholik oder Protestant ist, kann sich jetzt mal überlegen, wie oft er schon in die Verlegenheit kam, das Pfingstfest zu erklären. Selten? Genau. Juden werden gern zu israelischer Regierungspolitik oder dem Nahost-Konflikt befragt, auch wenn sie vielleicht nur hin und wieder in Tel Aviv Urlaub machen. Wer zufällig im Osten Deutschlands geboren wurde, ist natürlich prädestiniert den Osten, inklusive „Chemnitz“ und AfD, zu erklären. Dabei spielt es keine Rolle, wenn man seit zwei Jahrzehnten ganz woanders lebt. Natürlich meint es (fast) niemand böse. Aber es zeigt, entlang welch festem Raster unser Denken läuft, insbesondere wenn Fragen unter den Nägeln brennen.
Gesellschaftliche Kategorien und Gruppenbezeichnungen sind praktisch. Ohne Begriffscontainer geht es nicht. Im Alltag sind sie grobe Navigationshilfe, aber damit hat es sich auch schon. Menschen lassen sich eben nicht wie chemische Elemente in ein übersichtliches Raster packen. In jedem von uns steckt Vielfalt, Komplexität, manchmal Widersprüchliches. Wir alle wollen in erster Linie als Mensch und Individuum wahrgenommen werden. In Glaskäfige gedacht und gesprochen zu werden nervt.
Kübra Gümüşay (2020): Sprache und Sein